/E Solo Exhibition
/G Group Exhibition
/P Projects: Interventions, Public Space, Competition or realized Projects
/D Display: Exhibition, Catalogs
/V Lecture and Screenings, Presentations
/E Einzelausstellungen
/G Gruppenausstellungen
/P Projekte: Intervention, öffentlicher Raum, Wettbewerbe oder realisiert Projekte
/D Display: Ausstellungen, Katalog
/V Vorträge u. Screening, Präsentation
ARTISTS BOOKS (EDITIONS)
ARTISTS BOOKS (EDITIONS)
Nicole Six and Paul Petritsch have been realizing films, photographs, displays, artist books as well as site- and context-specific installations and projects in public space since 1997. They live in Vienna.
They explore the limits of our existence and our perception with expeditions into everyday life, through oceans, polar regions, concrete deserts as well as lunar landscapes. With their experimental test arrangements and interventions, they locate themselves and the viewer again and again in art spaces, architectures and landscapes.
BIOGRAPHY
Nicole Six
Born 1971 in Vöcklabruck, Austria
Academy of fine Arts Vienna, Sculpture
Paul Petritsch
Born 1968 in Friesach, Austria
University of Applied Arts Vienna, Architecture
1997 MAK Schindler Scholarship, Los Angeles
2004 International Studio & Curatorial Program / ISCP, New York
2005 Visiting Professor at Experimental Design, Kunstuniversität Linz
2006 State Fellowship for Fine Arts
2007 Kardinal König Art Award
2008 T-mobile Art Award
2008 Lectureship Modul Kunsttransfer, Institut für Kunst und Gestaltung, Vienna
2009 Austrian drawing Award
2011 - 2020 Member of the panel BIG Art – Kunst und Bau der BIG (Nicole Six)
2014 since 2014 Head of the Department Site-Specific Art, University of Applied Arts Vienna (Paul Petritsch)
2015 Member of the panel Kunsthalle Exnergasse (Paul Petritsch)
2017 Karl-Anton-Wolf-Award
2019 since 2019 board member of Camera Austria, Graz (Nicole Six)
2021 Guest professor of the Department Site-Specific Art, University of Applied Arts Vienna (Nicole Six)
2023 Lectureship at the department Kunst und Musik, Kunst und Kunsttheorie, University of Cologne (Nicole Six)
2023 Landeskulturpreis für Bildende Kunst, Upper Austria
Collaboration since 1997
KONTAKT
Nicole Six and Paul Petritsch
Schottenfeldgasse 76/25
1070 Vienna/Austria
Tel. +43 1 95797 99
Fax +43 1 95797 99
Mail: office@six-petritsch.com
Nicole Six und Paul Petritsch realisieren seit 1997 gemeinsam Filme, Fotografien, Displays, Künstlerbücher sowie orts- und kontextspezifische Installationen und Projekte im öffentlichen Raum. Sie leben in Wien.
Die Grenzen unseres Daseins und unserer Wahrnehmung erforschen sie mit Expeditionen in den Alltag, durch Ozeane, Polarregionen, Betonwüsten, wie auch Mondlandschaften. Mit ihren experimentellen Versuchsanordnungen und Eingriffen verorten sie sich und die Betrachter*innen immer wieder neu in Kunsträumen, Architekturen und auch Landschaften.
BIOGRAFIE
Nicole Six
1971 geboren in Vöcklabruck, Österreich
Studium der Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste
Paul Petritsch
1968 geboren in Friesach, Österreich
Studium der Architektur an der Universität für Angewandte Kunst
1997 Schindlerstipendium
2004 ISCP, New York
2005 Gastprofessur am Institut für Experimentelle Gestaltung, Kunstuni Linz
2006 Staatsstipendium für bildende Kunst
2007 Kardinal König Kunstpreis
2008 T-mobile Art Award
2008 Lehrauftrag Modul Kunsttransfer, Institut für Kunst und Gestaltung, TU Wien
2009 Österreichischer Grafikwettbewerb
2011 - 2020 Jurymitglied von BIG Art – Kunst und Bau der BIG (Nicole Six)
2014 seit 2014 Leitung Abteilung für ortsbezogene Kunst, Universität für Angewandte Kunst (Paul Petritsch)
2015 Künstlerischer Beirat der Kunsthalle Exnergasse (Paul Petritsch)
2017 Karl-Anton-Wolf-Preis
2019 seit 2019 Vorstandsmitglied der Camera Austria, Graz (Nicole Six)
2021 Gastprofessorin Abteilung für ortsbezogene Kunst, Universität für Angewandte Kunst (Nicole Six)
2023 Lehrauftrag am Department Kunst und Musik, Kunst und Kunsttheorie, Universität zu Köln (Nicole Six)
2023 Landeskulturpreis für Bildende Kunst, Oberösterreich
Zusammenarbeit seit 1997
KONTAKT
Nicole Six und Paul Petritsch
Schottenfeldgasse 76/25
1070 Wien/Österreich
Tel. +43 1 95797 99
Fax +43 1 95797 99
Mail: office@six-petritsch.com
Das Oberösterreichische Landesmuseum verfügt über einen weitreichenden Sammlungsbestand. Mit einer Auswahl von Objekten, wie der „Scheibenelektrisiermaschine“, die durch Rotation Teilchenbewegung erzeugt, oder einem „unbekannten Objekt“, möchten wir auf das Ausstellungshaus und die vielfältige Geschichte seiner Sammlungen aufmerksam machen und Verknüpfungen zu unseren Arbeiten herstellen.
Johann Jechl / Franz Xaver Racher
Doppelte Scheibenelektrisiermaschine, 1794
angefertigt von Johann Jechl nach Anleitung des Jesuitenpaters
Franz Xaver Racher, Linz-Krumau; OÖ Landesmuseum, Sammlung
Technik- und Wehrgeschichte, Inv. Nr. PH 185
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Die Scheibenelektrisiermaschine gehört zur Sammlung historischer Lehrmittel, die im Linzer Jesuitengymnasium Spittelwiese zur Veranschaulichung im Physikunterricht verwendet wurden. Im Jahre 1960 übergab das Akademische Gymnasium die Sammlung dem Oberösterreichischen Landesmuseum.
Die barocke Scheiben-Elektrisiermaschine besteht aus zwei großen Glas-scheiben, die mit Hilfe einer Kurbel in Bewegung versetzt werden. Dabei laden sie sich am Reibzeug aus Leder auf. Die Ladung wird vom Glas abgenommen und einem Konduktor aus Messing zugeführt. Ist sie stark genug, kommt es zur Entladung: Zwischen dem Leiter und einer Messingkugel auf einem Stativ springt ein Funke über. Darüber hinaus kann die durch Reibung gewonnene elektrische Energie aber auch gespeichert werden. Insgesamt 100 Leydener Flaschen dienen dabei als Kondensator.
Ute Streitt
Walter Ebenhofer
Großer Wagen aus dem Zyklus Schussbilder, Blatt 7, 1998
Color Fotopapier Profselect, 7 x Projektil 5,6 mm
OÖ Landesmuseum, Landesgalerie Linz, Inv. Nr. LG 319
Walter Ebenhofer feuert mehrere Schüsse auf eine verschlossene
Packung Fotopapier ab. Die Projektile schaffen Löcher, durch die das Licht dringen kann. Das Ergebnis sind punktuelle Formationen, die an Sternengebilde erinnern.
Andrea Hofinger
Unbekanntes Objekt
OÖ Landesmuseum, Sammlung Technik- und Wehrgeschichte,
ohne Inventarnummer
Geschätzter Besucher, geschätzte Besucherin,
die Sammlungen innerhalb des OÖ. Landesmuseums sind ausgesprochen
vielfältig. Es ist daher nicht möglich, dass Sammlungsleiter immer Alles wissen. So möchte ich Sie zu Rate ziehen und Ihr Expertenwissen
anzapfen: Wissen Sie, um welches Objekt es sich hier handelt?
Wie heißt es?
Wo wurde es eingesetzt?
Wann wurde es verwendet?
Wie funktioniert es?
Sollte es Ihnen möglich sein, mir zu helfen, bitte ich Sie höflich um Ihre Rückmeldung. Für Ihre Mithilfe möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Ute Streitt
Heterastridium conglobatum
Anamas Dag, Türkei
OÖ Landesmuseum, Paläontologie
Heterastridium conglobatum ist ein fossiles Nesseltier, welches in der späten Triaszeit vor etwa 210 Millionen Jahren gelebt hat. Das kalkige Skelett dieses kolonial lebenden Nesseltiers, welches einen Durchmesser von bis zu 35 cm aufweist, ist meist elliptisch geformt. Aufgrund des Fehlens von Ansatzstellen zur Befestigung am Meeresboden geht man davon aus, dass die Kolonie zu Lebzeiten frei im Wasser geschwommen ist.
Björn Berning
Unbekannter Fotograf
Segelschiff vor Manchester, 1843
Daguerreotypie, England, 19. August 1843
OÖ Landesmuseum, Sammlung Frank, Inv. Nr. F 5498
Die Daguerreotypie „Segelschiff vor Manchester“ ist die älteste Fotografie in der historischen Fotosammlung des OÖ. Landesmuseums. Sie gehört zum Bestand der Privatsammlung Hans Frank, die 1975 vom Land Oberösterreich angekauft wurde. Der Bestand der Sammlung Frank umfasst ca. 20.000 Foto-Objekte, die vor allem die historische Entwicklung und Aufarbeitung der Geschichte der Fotografie zeigen.
Die erste praktikable fotografische Technik der Daguerreotypie ist ein Unikatverfahren auf hochglanzpolierten, versilberten Kupferplatten.
1839 wurde das Verfahren in Paris der Weltöffentlichkeit vorgestellt.
Gabriele Hofer-Hagenauer
Inge Dick
weiß, 13.6.1996, 8.23 Uhr
Aus der Serie: weiß, 13.6.1996, 5.07 – 20.52 Uhr
Polaroid
OÖ Landesmuseum, Landesgalerie Linz, Inv. Nr. LG 302
In der Serie Weiß belichtet Inge Dick bei unterschiedlichen Tageslicht-situationen zu exakt festgesetzten zeitlichen Folgen immer wieder dieselbe weiße Fläche – das Ergebnis sind unterschiedliche Farbschattierungen,
die von Weiß über unterschiedliche Blautöne bis zu Schwarz reichen. Das Material – einfache Polaroids – ist für diese Arbeit besonders geeignet, denn es lässt Licht und dessen Umsetzung als Farbe unmittelbar zutage treten und gewinnt dadurch eine eigene ästhetische Komponente.
Andrea Hofinger
Mathias Zibermayer
Chronoglobium, 1847
Ø 28 cm, Wien: Verlag Mollo-Trentsensky
OÖ Landesmuseum, Sammlung Technik- und Wehrgeschichte,
Inv. Nr. T 1974/0111
Ein für den Unterricht höchst geeignetes Demonstrationsgerät, das
Chronoglobium, mit dem sich Bewegungen der Erde und ihres Mondes
vor dem Hintergrund des Sternenhimmels simulieren lassen, entwickelte der Grazer Mathias Zibermayer. Im Zentrum eines gläsernen Himmels-globus, an dessen Wand die Sternbilder mit wenigen Einzelsternen einge-
fräst sind, ist ein von Eduard Mollo gebauter, ca. 14,5 cm großer Erdglobus […] montiert, der durch eine Handkurbel bewegt werden kann. Auch ein
verschiebbarer Mond ist vorhanden, dazu einige Ringe („Stundenreif“ in Äquatorebene mit gelben Stunden für den Tag, schwarzen für die Nacht; „Schattenreif“ und Ekliptik mit Monats- und Tageseinteilung). Die Zeit-
unterschiede zwischen Orten, unterschiedliche Tageslängen, die Abfolge der Jahreszeiten, die Bewegung der Gestirne, einschließlich der gelegentlich „rückläufigen Bewegung“ von Planeten und anders mehr, können damit veranschaulicht werden.
Franz Wawrik
Meteorit von Prambachkirchen
Oberösterreich, Meteoritenfall am 5. November 1932
OÖ Landesmuseum, Petrographie
Der Meteoritenfall von Prambachkirchen konnte am Abend des 5. November 1932 von einem Landarbeiter beobachtet werden. Im dichten Nebel war er sekundenlang von taghellem Leuchten umgeben, anschließend hörte er einen dumpfen Aufschlag. Am nächsten Tag wurde der 2,1 kg schwere Steinmeteorit gefunden – 130 m vom Standpunkt des Arbeiters entfernt hatte er sich 23 cm tief in den Boden gebohrt.
Björn Berning
Austrian artists Nicole Six and Paul Petritsch bring the concept of appropriation into the space of this magazine—literally. The analysis of existing systems usually entails radical adaptation and a processing of materials, be it the measuring of rooms with the help of one´s own body, the circumnavigation of the world by clocking the appropriate mileage on a historical Spanish speedway, or, in our present case, the act of taking literally the visual rhetoric associated with the standard repertoire of filmic narrative, which thus represent a visual processing of reality. In “Schuss / Gegenschuss” (Shot Counter-Shot), the artists shot each individual sheet of their contribution to this issue twice with a small-bore rifle. On a material level, they have therefore ensured inscription into the politics of representation—a performative act that entangles the space of the magazine with spaces of agency of an entirely different character; and an act whereby each sheet asserts the claim to being a unique work of art.
text: excerpt from the preface of Camera Austria Nr. 121
Maren Lübbke-Tidow and Reinhard Braun
Die österreichischen KünstlerInnen Nicole Six und Paul Petritsch tragen die Idee der Aneignung sprichwörtlich in den Raum der Zeitschrift selbst hinein. Der Analyse bestehender Systeme folgt zumeist eine radikale Anverwandlung und materielle Durcharbeitung. Sei es die Vermessung von Räumen mithilfe des eigenen Körpers, sei es die Umrundung der Erde durch das Abspulen der entsprechenden Kilometeranzahl auf einer historischen spanischen Rennstrecke, oder, wie im vorliegenden Fall, das Wörtlich-Nehmen einer visuellen Rhetorik, die zum Standardrepertoire filmischen Erzählens gehört und damit eine visuelle Durcharbeitung von Wirklichkeit darstellt: In »Schuss / Gegenschuss« wurde von ihnen jeder einzelne Bogen ihres Beitrags in dieser Ausgabe mit einem Kleinkaliber-
gewehr je zweimal durchschossen. Damit schreiben sie sich materiell in die Politik ihrer Repräsentation ein – ein performativer Akt, der den Raum der Zeitschrift mit völlig andersartigen Handlungsräumen verschränkt; und ein Akt, mit dem jeder Bogen für sich den Anspruch einer eigenen künstlerischen Arbeit reklamiert.
Text: aus dem Editorial der Camera Austria Nr. 121
Maren Lübbke-Tidow und Reinhard Braun
>For the project "View may be denied by cargo (Aussicht kann durch Ladung verstellt sein)" the artists experiment with all of their possessions: objects that are necessary for their daily routine or the outcome of their work, even though the items appear to be useless. Toothbrushes, books, computers, beds, tables, clothes, cars, but also the keys to their apartment, bank cards or passports are amassed in the Kunstverein Medienturm premises. The original function of those objects is suspended, they are listed in an inventory and presented to the public in sculptural form. The inventory, transfer and the performative rearrangement elucidate the mediality of things.
Nicole Six and Paul Petritsch confront visitors to the exhibition with the system of their own things. How do the objects describe the protagonists' lives? Furniture, for example, is usually arranged along an axis that expresses a regular daily routine and the symbolic presence of its users, and not presented as a category as it is in this exhibition.
A person's home, their setting, the objects with which they surround themselves tell almost everything about him/her, as Jean Baudrillard commented just over 40 years ago in his book The System of Objects. In this text he interprets the mass-produced objects surrounding us as a closed system of signs: an illusory world of consumption where desire and commodity are inextricably linked. On the basis of home furnishings, Baudrillard’s text provides an analysis of the way objects have developed and changed according to their respective reference system: Furniture and the people living amid it form a complex ecosystem, they adapt to suit one another.
From this angle, furniture and objects personify human relationships. The true dimension of objects is subordinate to a moral dimension. Creatures and objects are thus linked to each other and, with this secret understanding, adopt an intimacy, an effective value, which is traditionally described as their “presence”.
At Kunstverein Medienturm, Nicole Six and Paul Petritsch cross the line between inside and outside. Their formal juxtaposition of the objects and the visitors opens their belongings to discussion in a social and a psychological context.
>Für dieses Projekt experimentieren Nicole Six und Paul Petritsch mit all den Dingen, die sich in ihrem Besitz befinden: Gegenstände, die entweder für den Alltag notwendig oder Resultat ihrer Arbeit sind, auch wenn sie unnütz erscheinen. Zahnbürsten, Bücher, Computer, Betten, Tische, Stühle, Kleidung, Autos, aber auch Wohnungsschlüssel, Kontokarten oder Reisepässe werden in den Räumlichkeiten des Kunstverein Medienturm zu einem Gesamtvolumen geschichtet. Ihre ursprüngliche Funktion wird aufgehoben, sie werden in einem Bestandsverzeichnis gelistet und in skulpturaler Form öffentlich gemacht. Durch das Aufnehmen des Bestands, den Transfer und die performative Neuordnung wird die Medialität der Dinge erkennbar.
Nicole Six und Paul Petritsch konfrontieren die Besucher/innen mit einem System ihrer Dinge. Wie beschreiben diese das Leben ihrer Protagonisten? Gewöhnlich ordnen sich beispielsweise Möbel entlang einer Achse, die den regelmäßigen Ablauf des Tages und symbolisch die Anwesenheit der Bewohner/innen versinnbildlicht. Die Ausstellung ordnet den gesamten Besitz der Künstler/innen nach anderen Kategorien.
„Die Wohnung, das Milieu, die Gegenstände, mit denen sich ein Mensch umgibt, verraten fast alles über ihn", bemerkte Jean Baudrillard vor knapp 40 Jahren in seinem Buch „Das System der Dinge“. Darin deutete er die uns umgebenden, hergestellten Dinge als geschlossenes Zeichensystem: als eine Scheinwelt des Konsums, in der Wunsch und Ware untrennbar miteinander verknüpft sind. Baudrillards Text analysiert anhand einer Wohnungseinrichtung, wie sich Gegenstände entwickelt haben und sich je nach Bezugsystem verändern: Einrichtungen und die darin lebenden Menschen sind ein komplexes Ökosystem, sie passen sich einander an. Möbel und Gegenstände personifizieren aus dieser Sicht die menschlichen Beziehungen. Die reelle Dimension der Dinge sei einer moralischen unterstellt. Wesen und Dinge sind so miteinander verbunden und nehmen in dieser heimlichen Übereinkunft eine Innigkeit, einen affektiven Wert an, den man traditionellerweise als ihre „Präsenz" bezeichnet.
Im Kunstverein Medienturm überschreiten die Künstler/innen die Zäsur zwischen Innen und Außen. Ihre formelle Gegenüberstellung der Dinge und der Besucher/innen stellt das Eigentum unter sozialen und psychologischen Vorzeichen zur Diskussion.
SET / SCENE I (from camera A)
An exposed concrete wall, with some white wall cladding visible on either side. The concrete screed floor meets the wall seamlessly. The ceiling cannot be seen.
Action: Nicole Six presses the record button on camera A, and this beeps as it starts to record. Six appears, moving diagonally from the left to the centre of the scene, and exits right. In the middle of the scene, which corresponds with the middle of the exposed concrete wall, she places a camera tripod. Six exits right. She comes back with a video camera hanging on a cable and fixes it on to the tripod, then adjusts the image and switches the camera on, again with an audible beep.
Scene II is created:
camera A and camera B are facing each other, each filming the other. Nicole Six exits down right.
SET / SCENE II (from camera B)
A double wooden door, reaching up to the ceiling, is bordered on the side by two panes of glass in a metal frame.
Nicole Six enters down left as a repoussoir. She draws the viewer’s eye to the centre of the scene, takes a small-bore gun and aims at the camera.
Shot:
the camera, which she has just hit, slightly shifts scene I, which it is projecting. Nicole Six reloads.
Shot / cut:
The shot ends the video recording of scene I. Blackout. Nicole Six moves in a curve across the centre of the scene from left to right and looks into camera B. She reloads.
Shot / cut:
the shot ends the video recording of scene II.
Blackout: 1’30’’
Nicole Six and Paul Petritsch are staging a Raum für 6’23’’ | Space for 6’23’’. This involves surveying the exhibition gallery in the Taxispalais cinematically. Two cameras facing each other film the space, and here the cameras themselves are not just equipment, but also performers. In front of the almost monochromatic concrete wall of the exhibition gallery the filigree legs of the tripod stand out like delicate graphic lines on a sheet of paper. The linear organization of the wall with its restrained range of soft colours is accentuated only by power points and a fire alarm button, and it is impossible not to think of Brian O´Doherty, who called the presence of a fire extinguisher in the White Cube a joke riddle. For Six/Petritsch, the precise architectural arrangement of the exhibition space offers an ideal set for their cinematic scheme, which is about the duration of space. In his definitive essay Raum, Zeit, Architektur | Space, Time, Architecture, Sigfried Giedion pointed out the interdependence of the different dimensions, something that has become a paradigm for the 20th century. And exactly a hundred years ago now it was the poet Guillaume Apollinaire who described the effect made on painting by the insight that time should be understood as the fourth dimension. A break was made with perspective space, and the simultaneous representation of an object from different points of view is now taken for granted.
In Six/Petritsch’s installation, two pictorial concepts meet. On the one hand we have the geometrical structuring of a scene, with which we are familiar from the Renaissance – Nicole Six’s moves follow the construction elements of rising and falling diagonals, vanishing point and eye point, and the golden section. Then the time-based installation, two cameras, like the protagonists in a drama, face each other in their function as recording apparatuses. The field of view in each case is reproduced at an angle of roughly
45 degrees. The projection surfaces repeat the real situation and now become performers themselves, throwing the images back into the space. The crucial factor is now that the change from one image plane to another, usually achieved by editing, takes place here literally as the result of a shot and an answering shot from a small-bore gun. As a film editing technique, usually deployed in dialogue situations, shot and answering shot acquire particular significance.
Samuel Beckett made the terror inherent in the observing camera eye, its sense of violent capture, the subject of his 1965 film Film. In it the ageing Buster Keaton plays a man who wants to eliminate everything in his mother’s room that he felt was observing him. The objects concerned are a picture on the wall, a mirror, a birdcage, a goldfish bowl, or only two open curves in a carved chair that Buster Keaton wants to ‘switch off’. He covers up the potential eyes and drives the cat and the dog out of the room. The actor, the subject, does not want to escape from being perceived by strangers, but also by himself.
Samuel Beckett designates the protagonists in his film with the letters O for object, and E for eye. The camera E follows the object O, until O sinks into a rocking chair, exhausted, and falls asleep, and is finally seen there by the hitherto unobserved camera. O sees himself, is horrified, not just because he is looking into the eye of the camera, but also because he is confronted with a view of himself. In this film, Beckett is undertaking a study that makes the relationship between camera and object subjective, hereby addressing a tricky point. The camera shot is not just a factic trace, because it is still ascribed to photography, but an affective mutual relationship. The ageing Keaton is impressive not just because he is a great actor, but also because he can be described as a founder-figure of cinema who is now sinking down exhausted and has to acknowledge that as a human being he must surrender to the camera to a certain extent. The exhaustion space, acting while exhausted, the meaningless bustle of the figures are typical of Beckett’s essays and plays. Buster Keaton is also part of the bustling, he is literally pacing around the space, he is caught up in it and is thus defining his inability to escape just as much as the limitations of the cinematic space.
For Nicole Six and Paul Petritsch the reference to Samuel Beckett’s Film gives some indications of their understanding of space. As early as their solo show in the Kunsthaus Bregenz they explored the experience of space – having to surrender to space. Paul Petritsch spent six days in Peter Zumthor’s cube made entirely of cast concrete, and filmed himself with six cameras that he had placed in the space. As in the 6’23’’ installation, the performers are: the cameras, the tripods, one person in the space and finally the space itself. The unreasonable demands made by the space on the body are not just the unreasonable demand of being shut in, but also the impossibility of avoiding the ‘eye’ of the camera, of the viewer. In this work, Six/Petritsch are exhausting the idea of the exhibition. They are not just asking about the spatial conditions, defined not least by the totalitarian effect of the White Cube, but also by the infinite loop of showing. Here shut in also means capturing the person of the artist, whose subjectivity still has an auspicious effect in the art business.
In Bregenz, extreme length was made a spatial condition, but Raum für 6’23’’plays with the precise moment of obliteration, of death. Here the myth of the infinity of media space is brought to a quite brutal conclusion. Six/Petritsch are staging the moment that remains invisible in film production: editing. Jean Luc Godard says that in editing past, present and future become almost physical entities in his hands. The physical reality of time, but also the potential of linking different realities creates the creative space of editing, and even so we become aware of its significance only slowly. The fact is that it is not just pictorial relations that are reflected in it, but also the power of visibility and invisibility.
One of Dan Graham’s most important installations, Present Continuous Past, dating from 1974, confronts viewers with himself and with his image, which is reproducing itself. Mirror, camera, monitors and an 8 second delay are the resources Graham uses in order to offer viewers various options of the way in which space can be experienced physically between the presence of the body and the specific temporal quality of film. Dan Graham’s video installations can be seen as experiments for analysing human beings and cinematic recording. But here we are also dealing with a viewing machine that plays through various seeing operations: self-referentiality, simultaneity and control are parameters that take effect here. In this context it would also be possible to think of Las Meninasby Diego Velázquez, that much-discussed painting whose complex pictorial composition renegotiates the pictorial personnel of author/artist, the figures represented and also the position of the viewer.
Nicole Six and Paul Petritsch make use both of the principles of painting and of film installation in order to demonstrate the functions and dysfunctions of showing. Viewers are not just invited to attend the production of a film, they are required to enter the space between creating and destroying an image. Unlike the projection of a film in the cinema, the exhibition space makes it possible to assemble the moving image in the space. Placing the screens opposite each other creates new spaces, and the exhibition walls similarly acquire a dramatic function, as do the projection surfaces. The space produced by editing is the black space that forms the beginning and the end of the story.
1 Cf. Sigfried Giedion, Raum, Zeit, Architektur, Birkhäuser Verlag für Architektur,
Basel 1996, p. 281.
2 Cf. Volker Pantenburg, Film als Theorie, transcript Verlag, Bielefeld 2006, p. 165.
SET / BILD I (Blick Kamera A)
Eine Sichtbetonwand, an deren beiden Seiten eine weiße Wandver- kleidung im Anschnitt zu sehen ist. Der Betonestrich des Bodens fügt sich nahtlos an die Wand an. Die Decke ist nicht zu sehen.
Handlung: Nicole Six betätigt den Aufnahmeknopf von Kamera A, diese beginnt mit einem Piepton die Aufzeichnung. Six betritt das Bild diagonal von links zur Bildmitte hin und geht rechts ab. In der Mitte des Bildes, das der Mitte der Sichtbetonwand entspricht, postiert sie ein Kamerastativ. Die Künstlerin geht nach rechts ab. Sie kehrt wieder mit einer Videokamera, die an einem Kabel hängt, und befestigt sie auf dem Stativ, justiert das Bild und schaltet sie, hörbar durch einen weiteren Piepton, ein.
Bild II entsteht:
Kamera A und Kamera B stehen sich gegenüber, filmen sich gegenseitig. Nicole Six geht nach rechts vorne ab.
SET / BILD II (Blick Kamera B)
Eine bis zur Decke reichende Doppeltür aus Holz, die seitlich von zwei Glasscheiben in einem Metallrahmen eingefasst ist.
Nicole Six betritt das Bild links vorne als Repoussoir. Sie führt den Blick des Betrachters zur Bildmitte, greift zu einem Kleinkalibergewehr und zielt auf die Kamera.
Schuss:
Die zum Teil getroffene Kamera verrückt das von ihr projizierte Bild I geringfügig. Nicole Six lädt nach.
Schuss / Schnitt:
Der Schuss beendet die Videoaufzeichnung von Bild I. Schwarz.
Nicole Six geht in einer Drehung über die Bildmitte von links nach rechts und blickt in die Kamera B. Sie lädt nach.
Schuss / Schnitt:
Der Schuss beendet die Videoaufzeichnung von Bild II.
Schwarz: 1’30’’
Nicole Six und Paul Petritsch setzen einen Raum für 6’23’’ in Szene.
Dabei wird der Ausstellungsraum der Galerie im Taxispalais in Innsbruck filmisch vermessen. Zwei einander gegenüber liegende Kameras nehmen den Raum auf, wobei die Kameras selbst nicht nur Apparate, sondern auch Darsteller sind. Vor der nahezu monochromen Betonwand des Ausstellungsraumes nehmen sich die filigranen Beine des Stativs wie zarte grafische Linien auf einem Blatt Papier aus. Die lineare Organisation der Wand mit ihrer zurückhaltenden und weichen Farbpalette wird einzig durch Steckdosen und einen Feueralarmknopf akzentuiert, und man
kann nicht umhin an Brian O’Doherty zu denken, der die Präsenz eines Feuerlöschers im White Cube als Scherzrätsel bezeichnet hat. Für Six/
Petritsch bietet die präzise architektonische Anordnung des Ausstellungsraumes ein ideales Set für ihre filmische Anordnung, in der es um die Dauer des Raumes geht.
Sigfried Giedion hat in seiner maßgeblichen Schrift Raum, Zeit, Architektur auf die Interdependenz der unterschiedlichen Dimensionen hingewiesen, die für das 20. Jahrhundert paradigmatisch geworden ist. Und vor nunmehr genau hundert Jahren war es der Dichter Guillaume Apollinaire, der beschrieb, welchen Einfluss die Erkenntnis, die Zeit als vierte Dimension zu begreifen, auf die Malerei hatte. Mit dem perspektivischen Raum wurde gebrochen und die simultane Darstellung eines Gegenstandes aus unterschiedlichen Gesichtspunkten ist mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden.
In der Installation von Six/Petritsch treffen zwei Bildkonzeptionen aufeinander. Zum einen ist da der geometrische Bildaufbau, wie wir ihn aus der Renaissance kennen – so folgen die Gänge von Nicole Six den Konstruktionselementen von steigender und fallender Diagonale, Flucht- und Augenpunkt sowie dem goldenen Schnitt. Zum anderen stehen sich in der zeitbasierten Installation zwei Kameras, wie die Protagonisten eines Dramas, in ihrer Funktion als Aufnahmeapparate einander gegenüber.
In einem Winkel von ungefähr 45 Grad wird das jeweilige Sichtfeld wiedergegeben. Die Projektionsflächen wiederholen die reale Situation und werden nun selbst zu Akteuren, die die Bilder in den Raum zurück- werfen. Entscheidend ist nun, dass der Wechsel von einer Bildebene zur anderen, der üblicherweise durch den Schnitt erfolgt, hier ganz buchstäblich durch einen Schuss und einen Gegenschuss mit einem Kleinkalibergewehr erfolgt. Als Technik des Filmschnitts, die meist bei Dialogsituationen angewandt wird, kommt dem Schuss-Gegenschuss eine besondere Bedeutung zu.
Der Schrecken, der dem beobachtenden Kameraauge innewohnt, seine gewaltsame Vereinnahmung, hat Samuel Beckett in seinem Film Film aus dem Jahr 1965 zum Thema gemacht. Der gealterte Buster Keaton spielt darin einen Mann, der in dem Zimmer seiner Mutter alles eliminieren möchte, durch das er sich beobachtet fühlt. Es sind dies ein Bild an der Wand, ein Spiegel, ein Vogelkäfig, ein Fischglas oder nur zwei offene Rundungen in einem geschnitzten Stuhl, die Buster Keaton ‚ausschalten‘ möchte. Er verhängt die potentiellen Augen und scheucht die Katze und den Hund aus dem Zimmer. Der Schauspieler, das Subjekt, will nicht nur der Fremdwahrnehmung, sondern auch der Selbstwahrnehmung entfliehen.
Samuel Beckett bezeichnet die Protagonisten seines Films mit den Buchstaben O wie Object und E wie Eye. Die Kamera E verfolgt das Objekt O, bis O erschöpft in einen Schaukelstuhl sinkt und einschläft, um schließlich von der bis dahin unbemerkten Kamera gesehen zu werden. O sieht sich selbst, erschrickt, nicht nur weil er in das Auge der Kamera blickt, sondern auch weil er mit seiner Selbstschauung konfrontiert ist.
Beckett unternimmt mit diesem Film eine Studie, die das Verhältnis von Kamera und Objekt subjektiviert und spricht damit einen heiklen Punkt an. Die Aufnahme ist nicht nur eine faktische Spur, wie sie noch der Fotografie zugeschrieben wird, sie ist vielmehr eine affektbeladene Wechselbeziehung. Der gealterte Keaton ist nicht nur deshalb so beeindruckend, weil er ein großer Schauspieler ist, sondern auch weil er als Gründungsfigur des Films bezeichnet werden kann, der nun erschöpft zusammensinkt und erkennen muss, dass er der Kamera als Mensch gewissermaßen ausgeliefert ist. Der Raum der Erschöpfung, das erschöpfte Handeln, das sinnlose Treiben der Figuren sind kennzeichnend für Becketts Texte und Theaterstücke. Auch Buster Keaton ist getrieben, er schreitet den Raum buchstäblich ab, ist darin gefangen und beschreibt damit seine Ausweglosigkeit genauso wie die Begrenztheit des filmischen Raumes.
Für Nicole Six und Paul Petritsch vermag die Referenz auf Film von Samuel Beckett einige Hinweise auf ihr Verständnis des Raumes zu geben. Bereits in ihrer Personale im Kunsthaus Bregenz loteten sie die Erfahrung des Raumes – das dem Raum Ausgeliefertsein – aus. Sechs Tage lang hielt sich Paul Petritsch in dem zur Gänze aus Gussbeton bestehenden Kubus von Peter Zumthor auf und ließ sich dabei von sechs Kameras, die er im Raum postierte, filmen. Wie in der Installation Raum für 6’23’’ sind die Darsteller die Kameras, die Stative, eine Person im Raum und schließlich der Raum selbst. Die Zumutungen des Raumes auf den Körper sind dabei nicht nur Zumutungen der Eingeschlossenheit, sondern auch die Unmöglichkeit dem ‚Blick‘ der Kamera, des Betrachters zu entkommen.
Six/Petritsch reizen mit dieser Arbeit die Idee der Ausstellung aus. Sie fragen dabei nicht nur nach den räumlichen Bedingungen, die nicht zuletzt auf der totalitären Wirkung des White Cube beruhen, sondern auch auf der Endlosschleife des Zeigens. Eingeschlossen meint hier auch die Vereinnahmung der Person des Künstlers, deren Subjektivität nach wie vor eine verheißungsvolle Wirkung im Kunstbetrieb hat.
Während im Kunsthaus Bregenz die extreme Dauer zur Raumbedingung gemacht wurde, spielt Raum für 6’23’’ mit dem präzisen Moment der Auslöschung, des Todes. Dem Mythos der Endlosigkeit des medialen Raumes wird hier ganz brachial ein Ende gesetzt. Six/Petritsch setzen jenen Moment in Szene, der in der Filmproduktion unsichtbar bleibt: den Schnitt. Beim Schneiden, so sagt Jean Luc Godard, würden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Händen nahezu körperhaft werden. Die physische Realität der Zeit, aber auch das Potential an Verknüpfungen verschiedener Realitäten bilden den Gestaltungsraum des Schnitts, und dennoch wird man seiner Bedeutung erst langsam gewahr. Spiegeln sich doch in ihm nicht nur Bildverhältnisse, sondern auch die Macht über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
Eine der wichtigsten Installationen Dan Grahams, Present Continous Past aus dem Jahr 1974, konfrontiert den Betrachter mit sich selbst und mit seinem sich reproduzierenden Bild. Spiegel, Kameras, Monitore und ein Delay von 8 Sekunden sind die Mittel, die Graham einsetzt, um dem Betrachter verschiedene Optionen von physischer Erfahrbarkeit des Raumes zwischen der Präsenz des Körpers und der spezifischen Zeitlichkeit des Films zu eröffnen. Dan Grahams Videoinstallation kann als Versuchsanordnung für die Analyse von Mensch und filmischer Aufnahme gesehen werden. Es handelt sich aber auch um eine ‚viewing machine‘, die verschiedene Operationen des Sehens durchspielt: Selbstbezüglichkeit, Simultanität und Kontrolle sind Parameter, die hier wirksam werden. Man könnte in diesem Zusammenhang auch an Las Meninasvon Diego Velázquez denken, jenes vieldiskutierte Gemälde, das mit seiner komplexen Bildkomposition die Positionen des Bildpersonals von Autor/Künstler, den dargestellten Figuren sowie die Position des Betrachters neu verhandelt.
Die Prinzipien der Malerei einerseits und der Filminstallation andererseits machen sich Nicole Six und Paul Petritsch zunutze, um die Funktionen und Dysfunktionen des Zeigens zu visualisieren. Der Betrachter ist nicht nur eingeladen, der Produktion eines Filmes beizuwohnen, er ist vielmehr gefordert, sich in einen Zwischenraum von Bilderzeugung und Bildzerstörung zu begeben. Der Ausstellungsraum ermöglicht anders als die Projektion eines Films im Kino, das bewegte Bild im Raum zu montieren. Die Gegenüberstellung der Leinwände erzeugt neue Räume, wobei den Ausstellungswänden gleichermaßen eine dramatische Funktion zukommt wie den Projektionsflächen. Der Raum, den der Schnitt hervorbringt, ist der schwarze Raum – er bildet den Anfang und das Ende der Erzählung.
1 Vgl. Sigfried Giedion, Raum, Zeit, Architektur, Birkhäuser Verlag für Architektur,
Basel 1996, S. 281.
2 Vgl. Volker Pantenburg, Film als Theorie, transcript Verlag, Bielefeld 2006, S. 165.
Three Discussion meetings were held in the lecture room:
Modes of Selection
Boris Ondreička (Artist)
Martin Fritz (Curator)
Gender und der österreichische Pavillon
Silvia Eiblmayr (Curator)
Ruby Sircar (Artist and Cultural theorist)
Unter der Fahne stehen
Christian Kobald (Curator)
Martin Hochleitner (Curator)
VERSCHIEBUNGEN
Der Vortragsraum, den Nicole Six und Paul Petritsch für das Projekt „Proposals for Venice“ der Landesgalerie Linz gestalteten, ist in seiner scheinbar verhaltenen, minimalistischen Ästhetik ein rhetorischer Kunstgriff, der komplexe Thematiken der konzeptuellen und neokonzeptuellen Kunst miteinander verschränkt. Six/Petritsch wurden von Hemma Schmutz, eine der sechs für „Proposals for Venice“ ausgewählten KuratorInnen, als Künstler und Künstlerin vorgeschlagen; dies allerdings nicht, der fiktiven Voraussetzung folgend, sich für den Österreich Pavillon in Venedig zu präsentieren, sondern dazu, in der Landesgalerie Linz einen Vortragsraum zu gestalten, in dem unter verschiedenen Aspekten die Vergabekriterien für das Prestigeprojekt „Biennale Venedig“ diskutiert werden sollten. Hemma Schmutz hatte damit die konzeptuelle Vorgabe geliefert, die umzusetzen Six / Petritsch mit ihrer Intervention kongenial gelang: Sie konzipierten ein allseitig verspiegeltes, den Diskussionsraum quer teilendes Wandelement, dessen Maße auf die Breite des Raumes abgestimmt waren und an den Seiten die jeweils erforderliche Fluchtwegbreite von 1,20 freiließ. Dieses Wandelement bewegte sich auf nicht sichtbaren Rollen gelagert in minimaler Geschwindigkeit durch den Raum, wodurch die Anwesenden genötigt wurden, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen, zusammen zu rücken und schließlich, als es zu eng wurde, die Seiten zu wechseln. Dieser konstruktiv erzwungene Positionswechsel, die Notwendigkeit den Standort oder, im übertragenen Sinn, den Standpunkt zu verändern, entsprach der Idee von Schmutz. Denn mit der von ihr geforderten Kriterien-Diskussion, die im institutionellen Kontext geführt werden sollte und eben dann auch geführt wurde, machte die Kuratorin zuerst klar, dass jeder dieser Entscheidungsprozesse, der administrativ-politische, der kuratorische und letztlich der künstlerische, sich immer bestimmten Konstellationen und Konstruktionen verdankt, die arbiträr und veränderlich sind.
Six/Petritsch griffen mit ihrer Raumgestaltung nicht nur diesen Sachverhalt reflexiv auf, sie machten auch den eigentlichen Spielort, den Pavillon selbst, zum Thema. Der von Josef Hoffmann erbaute Pavillon ist eine Ausstellungsarchitektur par excellence, die eine Bühne für die Kunst und das Publikum gleichermaßen bildet. Der Pavillon formuliert die Bedingungen für die dort präsentierte Kunst mit, fordert sie konzeptuell heraus und wurde dementsprechend in den vergangen Dekaden in vielfältiger Form immer wieder interventionistisch bearbeitet; Six / Petritsch schufen mit ihrer Intervention einen Symbolraum für eine offene Situation, mit der sie auch erkennen ließen, dass ein Konzept für den Pavillon nicht ohne die Auseinandersetzung mit dessen raum- und ortsspezifischen Gegebenheiten auskommt.
Mit der strukturellen Offenheit ihrer künstlerischen Idee für Linz reden Six/Petritsch jedoch nicht euphemistisch einer scheinbaren egalitären Freiheit und Objektivität das Wort, sondern – und das ist kein Widerspruch – sie bringen in ihrer Intervention für einen Vortragsraum die Ambivalenz der Bühne „Kunstbetrieb“ kritisch auf den Punkt. Zum einen sahen sich die Besucher_innen in Linz auf etwas unbehagliche Weise mit dem Narzissmus konfrontiert, der im Feld der visuellen Künste allenthalben gegenwärtig ist. Zum anderen sorgte der Raumteiler, der sich fast unmerklich, mit zwölf Metern pro Stunde, also der Geschwindigkeit eines Stundenzeigers, durch den Raum bewegte, für eine permanente Irritation, für Unruhe aber auch für eine situative Lockerheit, nicht weniger beim Publikum als bei den Vortragenden.
Beide Elemente, die Spiegel und die bewegliche Wand, transformieren den Galerie- und Vortragsraum in ein performatives Stück, in dem implizit die Frage nach den Machtverhältnissen auf dem Spielplan steht. Mit der Spiegelsituation wird auf den Illusionismus der uneingeschränkten Möglichkeiten verwiesen, die den Kunst- und Kultur-ProduzentInnen auf dem Parkett der Kunst scheinbar offen stehen; mit der Schiebewand hingegen, die den Menschen im Raum ästhetisch perfekt aber unerbittlich zu Leibe rückt und sie letztlich zum Seitenwechsel zwingt, geht es um die offenen und versteckten Hierarchien im Kunstbereich, seien sie politischer, ökonomischer, institutioneller oder persönlicher Art. Mit ihrer beweglichen Spiegelwand schufen Six/Petritsch ein kleines Bedrohungsszenario, das höchst subtil ein anderes evozierte, jene berühmte Szene, in der sich der Wald von Birnam Woods zum Schrecken des Protagonisten in Bewegung setzt.
Silvia Eiblmayr
„Proposals for Venice“ wurde von Martin Hochleitner, damaliger Leiter der OÖ Landesgalerie, initiiert, um die in Österreich fehlende Transparenz bei der Bestellung der Kommissär_innen und der Auswahl der Künstler_innen für den Österreich Pavillon auf der Internationalen Kunstbiennale Venedig zu thematisieren. Sechs Kurator_innen wurden eingeladen, um jeweils Künstler_innen ihrer Wahl für eine fiktive Bespielung des Pavillons zu nennen, die dann ihre Arbeiten in ihnen zugeteilten Räumen in der Landesgalerie präsentierten.
König Macbeth wird in Shakespeares Tragödie geweissagt, dass er in Sicherheit sein werde, so lange sich der Wald von Birnam nicht auf ihn zu bewegen würde. Als die vereinten Truppen von England und Schottland gegen Macbeth vorrücken, trägt jeder der Soldaten als Tarnung ein Bäumchen mit sich.
In dem Vortragsraum wurden drei Diskussionsrunden zu folgenden Themen abgehalten:
Modes of Selection
Boris Ondreička (Künstler)
Martin Fritz (Kurator)
Gender und der österreichische Pavillon
Silvia Eiblmayr (Kuratorin)
Ruby Sircar (Künstlerin und Kulturtheoretikerin)
Unter der Fahne stehen
Christian Kobald (Kurator)
Martin Hochleitner (Kurator)
PERCEIVED SPACE:
PERCEPTION OF SPACE IS PERCEPTION
INVOLVING ONE’S ENTIRE EXISTENCE
There is as yet no theory of perception adequate to the dynamism of space. The statements of writers and phenomenologists are still shunted off to the realm of the merely subjective and psychological because feelings or emotions are misunderstood as something located within the subject, and the configuration of subject vs. object is applied as the only yardstick.
We habitually understand perception as an act by which something comes from “outside” into our interior and is represented and stored within us. We presuppose that the exterior, the outside world, is the way it appears to us even when we are not there. At the same time we fail to see that this state of affairs is already the conse-quence of a mode of behavior that did not proceed without our doing. In this mode of behavior, we do not admit a certain environment, and as a consequence it appears as a mere “world around us,” an “exterior.” That seems to be the way of objectivity. Yet a living context thus becomes a dead environment. Conversely, a seemingly lifeless surface becomes a living context when we unlock it by virtue of a specific perspective. But then our entire spatial constitution is altered. Unlocking opens the environment as something in which we suddenly come to stand. Our space expands. That is what Maturana means when he says that “we see with our legs.” Perception thus becomes an existential being–in. Under–standing becomes a standing–in a context. Sight becomes in-sight. And in in–sight, new spaces and interior sights open up. One can experience this, e.g., in beholding a picture: by disclosing itself to us, the initially flat view is transformed into a spatial complex. Yet the picture was never a mere object that then, in one way or another, came to be animated; it was always already part of a process concealed by our own lifelessness. We are not uninvolved in our perceptions. The environment changes when we adopt a different behavior. “It is quite astonishing how much our world–picture, and hence also our notion of perception, changes when we trade the picture–box philosophy of the uninvolved describer for the insight of the sensually involved participant. Indeed, even the logical (semantic) structures of these two world–pictures are fundamentally different with respect to the questions they pose, to our use of language, and to what we call an ‘explanation.’” Because perception never exists without us, “the experience of anything out there is validated in a special way by the human structure, which makes possible ‘the thing’ that arises in the description. This circularity, this connection between action and experience, this inseparability between a particular way of being and how the world appears to us, tells us that every act of knowing brings forth a world.”
Space emerges only in and with perception. It is important to mark this point. Perception and cognition are not primarily processes involving data. Rather, we transform and expand our entire existential structure. That is why we can say that “whatever we do in every domain, whether concrete (walking) or abstract (philosophical reflection), involves us totally in the body.” The theories of perception have become overly narrow. Hearing, seeing, etc. are impoverished derivations of a perception made with one’s entire existence. A primary perception is one involving us “from head to toe,” an “engaged knowledge,” as Sartre calls it, by which I make the world disclose itself to me.
In perceiving, we always exert influence on the entire constitution of reality. Perception is an all–involving transformation. Depending on one’s attitude and approach, an environment opens up and divides itself up in different ways, resulting in different perceptions. Whether we project wishes and ideas, look out for advantages, profit, or opportunities, merely seek confirmation, or give ourselves over makes a world of difference. Perception is an active creation of world. In perception, we create reality. Hence the central proposition: “cognition does not concern objects, for cognition is effective action; and as we know how we know, we bring forth ourselves.”
1 Quoted in Heinz von Foerster, “Wahrnehmen wahrnehmen,” in: Karlheinz Barck et al. (eds.), AISTHESIS: Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, p. 440.
2 Ibid., p. 436.
3 Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela, The Tree of Knowledge. The Biological Roots of Human Understanding, revised ed., trans. Robert Paolucci, Boston and London 1998, pp. 25-26.
4 Ibid., p. 248.
5 Jean-Paul Sartre, Being and Nothingness. An Essay on Phenomenological Ontology, trans. Hazel E. Barnes, New York 1956, p. 308.
6 Maturana, Varela, op. cit., p. 244.
The English translation was first published in Michael Sailstorfer: Reaktor, New York: Lukas & Sternberg, 2008. Translated by Gerrit Jackson.
DER WAHRGENOMMENE RAUM:
RAUMWAHRNEHMUNG IST WAHRNEHMUNG
MIT DER GANZEN EXISTENZ
Es gibt für die Bewegtheit von Raum noch keine adäquate Wahr-
nehmungstheorie. Die Aussagen von Schriftstellern und Phänomenologen werden immer noch in den Bereich des bloß Subjektiven, Psychischen abgeschoben, weil Gefühle, Empfindungen missverstanden werden als etwas im Subjekt Befindliches und weil die Subjekt-Objekt-Konfiguration als alleiniger Maßstab genommen wird.
Wir sind gewohnt, Wahrnehmung als einen Akt zu begreifen, durch den etwas von „draußen“ zu uns nach innen kommt, in uns abgebildet und gespeichert wird. Dabei setzen wir voraus, dass das Draußen, die Außenwelt, auch ohne uns so ist, wie sie uns erscheint. Zugleich übersehen wir, dass dieser Zustand bereits aus einer Verhaltensweise entstanden ist, die nicht ohne uns geschehen ist. Wir lassen in dieser Verhaltensweise eine bestimmte Umgebung nicht zu, sodass sie als bloße „Umwelt“ und „draußen“ erscheint. Das ist scheinbar objektiv. Dadurch wird aber ein lebendiger Zusammenhang zu einer toten Umgebung. Umgekehrt wird eine scheinbar leblose Fläche zu einem lebendigen Zusammenhang, wenn wir sie durch eine bestimmte Hinsicht aufschließen. Dann gilt aber: Unsere gesamte räumliche Verfassung verändert sich. Durch das Aufschließen öffnet sich die Umgebung zu etwas, worin wir plötzlich stehen. Unser Raum erweitert sich. Das ist der Sinn des Satzes von Maturana: „Wir sehen mit unseren Beinen.“ Wahrnehmen wird somit zu einem existenziellen Drin-Sein. Ver-Stehen wird zu einem Drin-Stehen in einem Zusammenhang. An-Sicht wird zu Ein-Sicht. Und in der Ein-Sicht öffnen sich neue Räume und Binnensichten. Man erfährt das beim Betrachten eines Bildes z.B.: Die zunächst plakative Sicht verwandelt sich in einen räumlichen Komplex, wenn es sich uns erschließt. Dabei war das Bild zu keiner Zeit bloßes Objekt, das dann irgendwie animiert wurde, sondern es war schon immer Teil eines Prozesses, der durch unsere eigene Leblosigkeit verdeckt war. Wir sind nicht unbeteiligt an der Wahrnehmung. Die Umgebung verändert sich, wenn wir ein anderes Verhalten einnehmen: „Es ist ganz erstaunlich, wie sehr sich das Weltbild, und daher auch die Vorstellung über Wahrnehmung, verändert, wenn man die Guckkastenphilosophie des unbeteiligten Beschreibers mit der Einsicht des mitfühlenden Beteiligten vertauscht. Ja sogar die logische (semantische) Struktur dieser beiden Weltbilder ist bezüglich Fragestellung, Sprachgebrauch und was wir ‚Erklärung‘ nennen, fundamental verschieden.“ Weil Wahrnehmung nie ohne uns ist, gilt der Satz: „Die Erfahrung von jedem Ding ‚da draußen‘ wird auf eine spezifische Weise durch die menschliche Struktur konfiguriert, welche ‚das Ding‘, das in der Beschreibung
entsteht, erst möglich macht. […] Diese Zirkularität, diese Verkettung von Handlung und Erfahrung, diese Untrennbarkeit einer bestimmten Art zu sein von der Art, wie die Welt uns erscheint, sagt uns, dass jeder Akt
des Erkennens eine Welt hervorbringt.“
Raum entsteht erst in und mit der Wahrnehmung. Das ist wichtig, hier festzuhalten. Wahrnehmen und Erkennen sind primär keine Datenprozesse. Vielmehr transformieren und erweitern wir unsere gesamte existenzielle Struktur. Deshalb kann gesagt werden: „Was immer wir in irgendeinem Bereich tun, sei es etwas Konkretes wie das Gehen oder etwas Abstraktes wie philosophische Reflexion, bezieht unseren gesamten Körper mit ein.“ Die Wahrnehmungstheorien haben sich verengt. Hören, Sehen etc. sind Verengungen gegenüber einem Wahrnehmen mit der ganzen Existenz. Eine primäre Wahrnehmung ist mit „Haut und Haar“ und ist eine „engagierte Erkenntnis“, wie Sartre sagt, durch die ich mache, dass sich mir die Welt enthüllt. In der Wahrnehmung beeinflussen wir immer die gesamte Wirklichkeitsverfassung. Wahrnehmung ist eine Total-transformation. Je nach Haltung, Herangehensweise öffnet sich und teilt sich eine Umgebung anders auf. Sie wird dadurch unterschiedlich wahrgenommen. Je nachdem, ob wir Wünsche und Vorstellungen projizieren, ob wir nach Vorteilen, Nutzen, Chancen Ausschau halten, ob wir nur Bestätigung suchen oder uns ausliefern, ändert sich alles. Wir können verschiedene Haltungen einnehmen und ändern damit unseren Raum. Wahrnehmung ist ein aktives Hervorbringen von Welt. Wir erzeugen damit Wirklichkeit. Deshalb gilt der Kernsatz: „Erkennen hat es nicht mit Objekten zu tun, denn Erkenntnis ist effektives Handeln; und indem wir erkennen, wie wir erkennen, bringen wir uns selbst hervor.“
1 Heinz von Foerster, in: AISTHESIS: Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1993, S. 440.
2 Foerster, op. cit., S. 436.
3 Humberto R. Maturana / Francisco J. Varela, Der Baum der Erkenntnis, München 1991, S. 31.
4 Ebd.
5 Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, Reinbek 1962, S. 547.
6 Maturana / Varela, op. cit., S. 262.
The human and the animal being, 2009 was produced for Ursulinenkirche, Linz; Curator: Martina Gelsinger
DIE VERMASZUNG DES RAUMES
Bis 1968 war die Linzer Ursulinenkirche eine Klosterkirche des gleich- namigen Ordens. Seit ihrer Restaurierung 1985 ist sie Gemeindekirche des Forum St. Severin/ Kath. Akademikerverband der Diözese Linz und zugleich Kunst- und Konzertkirche. Nun will ich nicht sagen, dass der Bau dadurch einer völlig neuen Bestimmung übergeben worden wäre – schließlich muss man sich nur die illusionistische Kapazität dieser spät- barocken Architektur vor Augen halten, um anhand der Ausschmückung, des Bildprogrammes oder des imposanten Hochaltares diesen Bau als Raum mit visueller und akustischer Programmatik zu identifizieren. Manch einem mögen die Jahrtausende langen Debatten um Bilderverbote aus Angst vor Vergötzung des Dargestellten in den Sinn kommen. Kirchen sind in unserem Kulturkreis vor allem Orte des Sehens und Hörens – unabhängig davon, ob minimalistisch ausgeräumt oder überschwänglich dekoriert. Dass Reliquien und Opfergaben, Kirchenschätze und sakrale Orte die Vorläufer des Sammelns, Aufbewahrens und des Museums darstellen, hat Krzysztof Pomian eindrücklich hergeleitet. Dass hinter dieser imposanten Fassade an der meistfrequentierten Straße von Linz nun Ausstellungen und Konzerte stattfinden, zeugt demnach eher von Kontinuität. Diese Nähe gekoppelt mit der Dominanz des Raumes, der in keiner Hinsicht der Utopie des neutralen Kunstraums entspricht, wie ihn die Moderne für die Kunstpräsentation entwickelt hat, und der deshalb auf keine Art und Weise ausgeblendet werden kann, ist im Gegenteil die eigentliche Herausforderung.
Als sakraler Ort der Lehre ist er traditionell universell orientiert und ver- sammelt neben theologischem auch immer profanes Wissen zur steten Unterweisung. Dass zum Beispiel den Schalldeckel der Kanzel aus dem Jahr 1740 Reliefs der (damals bekannten) vier Kontinente schmücken, ist zunächst ein Hinweis auf Wissen und dessen Propagierung – aber auch Ausläufer einer Macht und eines selbstbewußten Anspruchs, der damit verbunden ist: Die vier Kontinente versinnbildlichen nicht zuletzt die Welt, die sich der Mensch nach Genesis 1,28 untertan machen sollen: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“
Der wesentlich interessantere Punkt dieser erweiterten Nutzung des Gebäudes als Kulturort, ist nämlich die Frage nach den zugrunde- liegenden Paradigmen der Anbetung des Glaubens und der Reflexivität, zur Infragestellung der Kunst. Nicole Six und Paul Petritsch gehen diese Herausforderung der Ursulinenkirche grundlegend analytisch an. So wie sie 2004 durch einen um seine eigene Achse rotierenden Raum die uns so selbstverständlichen Koordinaten des Oben und Unten ins Wanken brachten, stellen sie auch andere Existenzialien nachhaltig in Frage. Im Sommer 2008 führte sie ihre Auseinandersetzung mit dem Raum im Gironcoli Museum Herberstein bereits zu einer der wohl performativesten Tierplastiken des 21. Jahrhunderts, als sie für einen Tag den Umraum der imposanten Großskulpturen durch den Flug eines Raben vermaßen.
Diese Ansätze, die mit den beiden Wiener Künstlern und der Ursulinen- kirche aufeinander treffen, könnte man mit Niklas Luhmann als eine bestimmte Form der Selbstreferenz sozialer Systeme beschreiben. Luhmann hält die Differenz von System und Umwelt für grundlegend. Diese Differenz erlaubt es dem System, sich im Wesentlichen selbst zu regulieren, wenn es als solches in Frage gestellt werde. Six/Petritsch tun dies ganz konkret, in dem sie jene Tiere im Kirchenraum aussetzen, die der Mensch sich in der Schöpfung untertan machen soll, und deren Darstellung bildlich und skulptural als Teil der Bibelgeschichte oder als allegorische Beigaben der Seligen- und Heiligendarstellungen an Altären und Kirchenmauern allgegenwärtig ist. So befragen sie die Grenze zwischen bildlicher und realer Existenz und zwischen menschlichem und tierischem Wesen. Natürlich thematisieren sie damit das Verhältnis der Kirche zu Tieren, z.B. dass die beiden großen europäischen Kirchen nach wie vor Tieren die Seele absprechen, sich auffällig wenig zu Tierver- suchen oder Massentierhaltung äußern, aber alljährlich Waidmänner, ihre Waffen und die getöteten Tiere segnen. Besonders auffällig ist deshalb, dass Tiere den Kirchenraum vor allem auf fast märchenhafte Art und Weise bevölkern. In den reich illustrierten Bestiarien des Mittelalters moralisieren tatsächliche oder vermutete Eigenschaften von Tieren, Fabel- oder Halbwesen gar die christliche Heilslehre.
Charles Darwins Abstammungslehre erweiterte diese Debatte vor 150 Jahren spektakulär um einige wesentliche Aspekte, sprengte die Grenzen der biologischen Wissenschaften und stößt als Geisteshaltung noch immer in heikle Glaubensregionen vor. Die Formulierungen Kardinal Schönborns 2005 zeigen beispielsweise, dass dieser die Auffassung, der Zufall sei die primäre Komponente der Evolution, als Dogma und Ideologie bezeichnete. Seiner Meinung nach wohne der Evolution ein göttlicher Plan inne und lasse einen Zweck erkennen. Nun löste Darwins Evolutionstheorie vor allem ein Umdenken aus, das die Natur nicht mehr nur als Hierarchie auffasste und folglich den Menschen nicht mehr als Krönung der Schöpfung sah. Die geistesgeschichtliche Trennung des Menschen von den anderen Lebewesen geriet ins Wanken.
Six/Petritsch haben Tiere mit nur mäßig bekannter Bibelmythologie gewählt: Ein schreiender Esel, ein beobachtender Kauz, ein herum- fliegender Rabe, ein stolz krähender Hahn, vier Ziegen und zwei Schafe – allesamt weniger imposante Vertreter der Tierwelt, kleinere, von unter- geordnetem Nutzen, ja fast domestizierte Spezies. Zwar gilt die Eule als weise, klug und listig, aber Esel und Schaf als sprichwörtlich unintelligent und einfältig. Tiere sind in der Bibel überall zu finden. So säen die Raben bekanntlich nicht (Lukas 12, 24: „Die Raben säen nicht... und Gott ernährt sie doch.“), der Ziegenbock wird als Sinnbild für den Sünder, für Unkeuschheit und den Teufel eingesetzt usw.
Six/Petritsch inszenieren wenig. So versuchen sie keineswegs, einen tierischen Standpunkt zu imitieren und aus der Frosch- oder Vogel- perspektive zu filmen. Ihre Kamerafahrten folgen fünf horizontalen Achsen durch den Raum. Fünf Monitore präsentieren in der Installation diese Filme. Sie dokumentieren den Raum nach einem festgelegten Schema. Die Architektur mit ihren Besonderheiten interessiert dabei wenig. Aufmerksamkeitszentren wie Gewölbe oder Altarbild werden nicht gewürdigt, ebensowenig die Tiere, die wie zufällig, als nichts Besonderes – eben wie selbstverständlich ins Bild kommen – keineswegs skandalös, wie 1969 Jannis Kounellis’ 12 lebende Pferde in einer Galerie in Rom oder Joseph Beuys’ grasender Schimmel auf der experimenta 2 in Frankfurt am Main. Doch auch Six/Petritsch’ idyllisch wirkender Garten Eden ist weit weniger alltäglich, als die ruhigen, maschinenhaften Aufnahmen der an sich starren, aber auf Schienen ständig sich in Bewegung befindenden Kamera suggerieren. Der Raumscan ohne Zoom und Schrägen norma- lisiert durch seine harmonischen Bilder seinen Inhalt. Aber noch jeder Hortus Conclusus stellte durch seine vorgeblich paradiesische Idylle um so bohrender die Frage nach dem bösen Anderen.
1 — Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1987, S. 600 ff.
Das menschliche und das tierische Wesen, 2009 wurde für die Ursulinenkirche, Linz produziert. Kuratorin: Martina Gelsinger
Temporary intervention in public space: 16 May 2008, 17:00, Wiener Neustadt
An aeroplane—a single-engined sports plane—circles over the town at a height of 300 meters. Its speed, the noise it makes, its height and the charting of the location with a cloudy circular shape put the “scene of the action” centre stage for a short time.
On the one hand residents are invited to question the unusual goings-on and on the other, this “brief” sign can be seen over a long distance.
Temporäre Intervention im öffentlichen Raum: 16. Mai 2008, 17:00 Uhr, Wiener Neustadt
Ein Flugzeug – es handelt sich dabei um ein einmotoriges Sportflugzeug – überfliegt in einer Höhe von 300 Meter kreisförmig den Ort. Seine Geschwindigkeit, die Hörbarkeit, seine Höhe und das Ausmessen des Ortes durch eine wolkige Kreisform rückt den „Platz des Geschehens“ für kurze Zeit in das Zentrum.
Einerseits sind die Anrainer angesprochen das ungewöhnliche Tun zu hinterfragen, andererseits ist dieses „kurze“ Zeichen weithin sichtbar.
Sight, Shot and Free Fall
A true, barely perceptible intervention in a room only changes it minimally and temporarily. The action that has already taken place, which the traces on the wall are an indication of, makes itself present in the narration again: Paul Petritsch shot a hunting rifle twice in the Kunsthalle Exnergasse exhibition hall. The shots etch themselves into the beholder‘s imagination like two lines leading through the room. Is it possible to reconstruct the position of the no longer present shooter, to mark their coordinates with your own eyes? What direction would you have shot in?
Nicole Six and Paul Petritsch address the confrontation between an individual and the material space surrounding him/her with artistic and bodily means in their performative interventions. Space is an actual condition for the possibility of action (“room for maneuver”), an immeasurable, vast counterpart that one has to come to terms with by adjustment, fitting in, appropriation, use, or through a direct intervention. Six and Petritsch create experimental situations in which their own physical and psychological bodies are used to make space comprehensible. At the same time, the documentation of these interventions using photography or a video camera explores the depiction of space and the events that have taken place in them.
The two artists revealed all the production conditions in the Kunsthalle Exnergasse without even creating something — instead they reduced the existing materiality. The disturbance of a seemingly intact unit made it possible to experience this relationship. Spatiality turns out to be a parallel, mathematically construed reality, an ideal sequence of parallel lines and right angles individuals use to orient their perceptions in which their actions help them fit in. But a small gesture is enough to resist this matter–of–fact subordination of the subject or work of art within the space. Two relatively random yet consciously shot diagonals in the space cut through the existing linear system. The still visible marks of the shots make it possible to trace the lines of these shots in our imagination and also represent two visual axes of the person who once stood in the room and aimed at the wall. This imaginary feedback in the mind of each new beholder updates the preceding beholder’s sighting.
A radical and absurd action also defines Camera Dead by Six/Petritsch. A video camera was thrown out of the 5th floor of a building and fell to the ground freely in 1.7 seconds. The only thing left is the last image the camera recorded before the impact ruined its functionality. This is another example of the extremely unusual and brutal handling of an artistic medium like shooting in an exhibition hall. Until now, Six/Petritsch had only used the camera for direct recording (without cutting, mounting or zooming). Before it was the human actor who was exposed to an unreasonable, disquieting, risky or dangerous situation in their earlier experimental sequences. Now it is the camera, the object itself that is experimented with. Hence the acting subject waives the possibility of steering the action: the fall and impact, the degree of destruction and the image recorded during the fall are all beyond its control. An imaginary line is traced once again — this time it is a fall that shows gravity as an extreme natural law recorded in this form by the used medium. And once again it is the absence of an irreversible action that has already taken place that fascinates us and defines the mystical aesthetics of the (very) last recording.
The fleeting moment of a shot or of an object’s fall can barely be captured by human perception. We have to use our imagination, as indeterminate and subjective as it may be, to perceive the remaining traces and create an image we can see. The violence of both of Six and Petritsch’s actions, one is against materiality and the other goes against a medium that records real spaces and creates imaginary spaces — can ultimately be seen as a rebellious expression of awareness regarding the possibilities and limitations of our own perception. Sight is recognized as a localizing instrument that can be used the way a shooting rifle or a recording camera is used, to chart an imaginary linear system in a room and thus define it. Measurement errors or limitations can be seen as indications of one’s own limits that help confirm one’s presence in this space.
Blick, Schuss und freier Fall
Der nichtige, kaum wahrnehmbare Eingriff in den Raum verändert diesen nur minimal und temporär. Die schon vergangene Handlung, auf welche die Spuren an der Wand verweisen, wird in ihrer Erzählung wieder präsent: zwei Mal hat Paul Petritsch mit einem Jagdgewehr in den Ausstellungsraum der Kunsthalle Exnergasse geschossen. Wie zwei Linien zeichnen sich die Schüsse in der Vorstellung des Betrachters durch den Raum. Ist es möglich, die Position des nicht mehr anwesenden Schützen zu rekonstruieren, ihre Koordinaten mit dem eigenen Blick nachzuziehen? Wohin hätte ich an seiner Stelle geschossen?
Nicole Six und Paul Petritsch treten in ihren performativen Rauminterventionen mit künstlerischen und körperlichen Mitteln die Konfrontation zwischen dem Individuum und dem es umgebenden, materiellen Raum an. Raum als eigentliche Bedingung der Möglichkeit für das Stattfinden einer Aktion („Handlungsspielraum“) wird als unermessliches, gewaltiges Gegenüber ausgewiesen, gegen das man sich durch Anpassung, Einordnung, Aneignung, Gebrauch oder durch einen direkten Eingriff zu behaupten hat. Six und Petritsch schaffen experimentelle Situationen, in welchen die eigene physische und psychische Körperlichkeit eingesetzt wird, um Räumlichkeit (be-)greifbar zu machen. Die Dokumentation durch Fotografie oder Videokamera betont dabei gleichzeitig die Frage nach der Abbildbarkeit von Räumen und den Ereignissen, die darin stattgefunden haben.
In der Kunsthalle Exnergasse hat das Künstlerduo alle Produktions-
bedingungen offen gelegt, ohne überhaupt etwas zu erzeugen – vielmehr wurde hier eine bereits existierende Materialität reduziert. Durch die Störung einer vermeintlich intakten Einheit wird diese erst in ihrer Verhältnismäßigkeit erfahrbar. Räumlichkeit entpuppt sich als eine parallele, mathematisch konstruierte Realität, eine ideale Anordnung aus parallel laufenden Linien und rechten Winkeln, an der das Individuum seine Wahrnehmung orientiert und in die es sich durch seine Handlungen einfügt. Eine kleine Geste reicht jedoch aus, um sich der selbstverständlichen Unterordnung des Subjekts oder des Kunstwerks im Raumzu widersetzen. Zwei relativ willkürlich und doch bewusst in den Raum geschossene Diagonalen schneiden gleichsam das existierende lineare System. Die noch vorhandenen Spuren der Schüsse ermöglichen es nicht nur, diese in Gedanken als Linien nachzuzeichnen, sie stehen auch für zwei Blickachsen eines Subjekts, das einst im Raum gestanden und auf die Wand gezielt hat. In der Rückkopplung an die Imagination jedes neuen Betrachters wird die bereits vergangene Einschreibung des Blicks eines Anderen wieder aktualisiert.
Eine radikale und absurde Handlung bestimmt auch die Arbeit Camera Dead von Six/Petritsch. Eine Videokamera wurde aus dem Fenster im 5. Stock eines Hauses geworfen und stürzte in 1,7 Sekunden in freiem Fall zu Boden. Übrig bleibt nur das letzte aufgezeichnete Bild, das entstanden ist, bevor die Kamera durch Zerstörung ihrer Funktionalität beraubt wurde. Wie beim Schuss in den Ausstellungsraum handelt es sich hier um einen äußerst unüblichen und brutalen Umgang mit einem künstlerischen Medium. Bisher hatten Six/Petritsch dieses allein zur direkten Aufzeichnung (ohne den Einsatz von Schnitt, Montage oder Zoom) benutzt. War es in ihren früheren experimentellen Anordnungen immer der menschliche Akteur gewesen, der vor der Kamera einer unangemessenen, verunsichernden, riskanten oder gefährlichen Situation ausgesetzt wurde, ist es nun die Kamera selbst, die Objekt des Versuchs wird. So verzichtet das handelnde Subjekt auch auf die Möglichkeit der Steuerung der Aktion: nach dem Abwurf liegen der Verlauf von Fall und Aufprall, das Ausmaß der Zerstörung sowie das erzeugte Bild außerhalb seiner Kontrolle. Wieder wird hier eine imaginäre Linie beschrieben – diesmal ist es die des Fallens, welche auf die Schwerkraft als externes Naturgesetz verweist und die in einer durch ein Medium vermittelten Form festgehaltenen wurde. Und erneut ist es die Absenz einer bereits geschehenen, nicht rückgängig zu machenden Handlung, welche uns fasziniert und die auch die mystische Ästhetik der (aller)letzten Aufzeichnung der Kamera ausmacht.
Der flüchtige Moment eines Schusses oder des Herunterfallens eines Gegenstandes ist durch die menschliche Wahrnehmung kaum zu erfassen. Aus den bleibenden Spuren muss unsere Vorstellung in all ihrer Unbestimmtheit und Subjektivität das eigentliche Ereignis erst zum Gesehenen ergänzen. Der gewaltsame Charakter der beiden Aktionen von Six und Petritsch – einmal gegen die Materialität des Raumes selbst und einmal gegen ein Medium gerichtet, das reale Räume abbildet und imaginäre Räume erzeugt – kann letztlich als rebellischer Ausdruck eines Bewusstseins der Möglichkeiten, aber auch der Begrenztheit der eigenen Wahrnehmung verstanden werden. Der Blick wird als ein Instrument der Verortung erkannt, das – ähnlich einem schießenden Gewehr oder einer aufzeichnenden Kamera – eingesetzt werden kann, um ein imaginäres, lineares System in den Raum zu schreiben und diesen so bestimmbar zu machen. Momente des Scheiterns oder der Einschränkung bei der Vermessung können dabei als Bemessung der eigenen Grenzen gerade zur Vergewisserung der Präsenz des Selbst im Raum beitragen.
“Untitled” is a series of six drawings based on travelogues of the polar explorers and expedition leaders Julius Payer, Fridtjof Nansen, Salomon August Andrée (North Pole), and Ernest Henry Shackleton, Roald Amundsen and Robert Falcon Scott (South Pole). The drawings are
true to scale records of the respective individual itineraries.
„Ohne Titel“ ist eine sechsteilige Serie von Zeichnungen.
Grundlage der Zeichnungen sind Reiseberichte der Polfahrer
Julius Payer, Fridtjof Nansen, Salomon August Andrée (Nordpol)
und Ernest Henry Shackleton, Roald Amundsen und Robert
Falcon Scott (Südpol). Die Zeichnungen halten die individuelle
Reiseroute maßstabsgleich fest.